Von Kindsbeinen an daran gewohnt, ausserordentlich überschwenglich gelobt zu werden, tappe ich nun sozusagen loblos durchs Leben. Denn wer mit Lobeshymnen bedacht durch die Kindheit wuchs, hört einzelne, normale Lobe gar nicht mehr so richtig. Ein lobenswertes "fand ich sehr gut" verblasst neben einer 10minütigen Aufzählung meiner Fähigkeiten zu einem faden Etwas. Und so zweifle ich auf der Stelle sämtliche lapidaren "Gut" bis "Sehr gut" an und ein simples "Okay" stürzt mich in zähneknirschende Ungewissheit sokratischen Ausmasses: "Scio me nescire!" murmle ich dann vor mich hin und schlage ich den Kopf entmutigt auf die Tastatur auf die Rückenlehne der Couch.
Nicht, dass ich die ausgiebigen Lobe aus der Kinderzeit nicht heute noch gerne hören würde, oh nein. Aber der Übergang zum augenbrauenhochzuckenden Löbchen des Liebsten alle vier Monate fällt schwer und zum Glück gíbt es Wölfe und Bären mit Beurteilungsgesprächen direkt aus der Wildnis. "Manchmal bist Du schon ein bisschen megaunnnett und doof.", sagen die zwei zuweilen. "Aber wir finden Dich die liebste Mama auf der ganzen Welt und die Schönste".
Das Überschwengliche liegt eben in der Familie.
chamäleon123 - 26. Mai, 21:07
Unaufhörlich auf der Suche nach weisen und gelassenen Erziehungsmethoden erwäge ich nun die Anfertigung eines Schimpfwortstrafregisters. Einmal Spongebob gestrichen für einmal Arschloch, Arschgeige oder verfluchter Vollidiot, gnadenlose Dessert-Sperre für halt die Schnauze und alles, was sich auf knicken reimt.
Der kleine Wolf nämlich flucht wie ein Bauarbeiter und benutzt in der Wut Wörter, von deren Bedeutung er keinen blassen Schimmer hat. Gestern hat ihm der Bär die Bedeutung des unter talentierten Nachwuchs-Chauvinisten beliebten Ausdrucks "Hurensohn" erläutert - er braucht das Wort jetzt nicht mehr, der Wolf. Schwule Sau oder die adäquate Übersetzung eines mittlerweile auch in Mitteleuropa verbreiteten, sehr mutterbezogenen US-Ghetto-Fluches haben wir dem Kind ganz einfach erklärt, so dass es jetzt dieses Wort glücklicherweise megadoof findet und so peinlich, dass es sie nicht mehr benutzt. Schwul findet er dagegen cool, der Wolf, denn ausser Mama und vielleicht zwei, drei anderen sind Frauen tedenziell eher doof und einen Mann zu heiraten scheint ihm wesentlich verlockender. Mal sehen.
Bleibt die Frage des Fluch-Ersatzes. Mütterlich debile Vorschläge wie Donnerwetter! oder Krasnopolski! werden mit mitleidigem Lächeln abgetan. "Vielleicht", sagt der Bär, der gütlichen Lösung stets zugetan, "vielleicht sagen wir alle einfach: Arschlöchlein."
chamäleon123 - 21. Mai, 13:38
Man muss ja auch mal zum Gwafför. Auch wenns kein Schwein merkt danach. Während der Gwafför bei Männern höchstens 15 Minuten rumschnippelt und -rasiert, gehts im Damenfach nicht ohne haarstärkende Spülungen, Kopfhautmassagen und scherenklapperndes Kunstschneiden am lebenden Modell.
Es gab ja Zeiten, da habe ich solche Performancesitzungen genossen: Espressoschlürfen, rauchen (durfte man damals noch, sogar beim Gwafför), Zeitschriften lesen. Niemand wartete. Des Liebsten Vorgänger kümmerten sich nicht um die Agendafeinplanung - Hauptsache, die wilden Locken lockten sich unbändig unter dem Motorradhelm hervor.
Heute ist das anders. Nicht, dass sich der Liebste effektiv der Terminplanung annehmen würde. Deshalb: Wolf und Bär irgendwo unterbringen, bange darauf hoffend, dass sie dort nicht gerade einen Vulgärslangkurs veranstalten oder beim Fussballspielen auf Mädchenköpfe zielen. Nervös langweilige Hefte durchblättern und alles, was geschrieben steht, sofort wieder vergessen. Auf die Uhr schauen. SMS schreiben (konnte man früher nicht! wirklich!)Unterhaltungen führen (über die Roothaarige in "Deutschland toppt das Supermodel") und Interesse heucheln an den Ferienplänen der Sitznachbarin zur linken (Méches, blonde Tönung, Ibiza) und den Hundeerziehungstipps der Langhaarigen zur rechten (nur die Spitzen. Nur! die Spitzen!) . Nicht, ´dass ich einen Hund hätte. Aber man kann ja schlecht starr in den Spiegel glotzen, das wirkt uncool psychopathisch.
Zwei Stunden vergehen. Ich wedle hysterisch mit den Armen, als die Trockenhaube mit einem Paris-Hilton-Song das Ende der Trockenhaubenzeit anzeigt. Der Gwafför tätschelt beruhigend meinen Arm, als er merkt, dass er die falsche Farbe aufgetragen hat. Und zu kurz ist es auch, das neue Haar. Von Locken kann keine Rede mehr sein. Meine Ohren sind voller Farbe, millimeterkurze Härchen überziehen neckisch meinen Brustansatz. Ich fühle mich 10 Jahre älter.
"Du siehst wunderschön aus" salbadert der Bär schon ganz gentlemanlike beim Nachtessen. Nach einer Zetermordiopredigt an die versammelten Wildtiere über die Gabe der Aufmerksamkeit, liebevolles Interesse und grundsätzlich: Empathie. Gleichberechtigung. Missachtung der Hausfrauenpflichten (dort endet es jedesmal, beim Predigen.) Und doppelt mit philosophischer Taktik nach:"Aber ehrlich gesagt: genauso wie immer."
Schachmatt.
chamäleon123 - 20. Mai, 11:37
Manchmal gerät man in Panik und denkt, jetzt wächst es mir über den Kopf, aber solange man halbwegs den Überblick hat, ist es nicht wirklich gefährlich. Man gerät auch in Panik, wenn man anfängt zu putzen und aufzuräumen, weil man denkt, dass es reine Vergeudung von Zeit und Lebenskraft ist. In der Zeit liest du zwei bis drei Bücher oder sitzt in der Küche und denkst, und also ist Putzen und Aufräumen nicht einfach Zeitvergeudung, sondern die reinste Verblödung. Ist es.
Birgit Vanderbeke "Gut genug"
chamäleon123 - 15. Mai, 15:33
Nach einer schlaflosen Nacht steht fest: ich werde ab sofort für jedes Mail eine Lesebestätigung einfordern. Das ist unumgänglich. Wie viele meiner mahnenden Worte sind schon ungelesen im Schwarzen Loch des Cyberspace verschwunden, wie viele brillante Gedanken unbeachtet verhallt? Jetzt will ich zumindest sicher gehen, dass meine Mails gebührend beachtet werden, ernst genommen, verinnerlicht.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, ich habe gestern mein Ladegerät auf dem Pult liegenlassen. Bitte nicht klauen. Ein verzweifelter Hilferuf.
Schefin: Ich werde die Unterlagen gleich für alle kopieren. Ein Hinweis auf selbständiges Arbeiten. Nie mehr schlaflos im Bett liegen und sich das Hirn darüber zermartern, ob sich überhaupt jemand für mich interessiert. "
Ihr Mail wurde um 03.34 Uhr gelesen. wird auf meinem Monitor blinken und ich werde mich entspannt in die Kissen sinken lassen. Endlich gelesen werden. Endlich gehört werden. Ja: Erst dann kann ich überhaupt sicher sein, dass ich existiere.
Und ich werde natürlich eine eigene Homepage aufschalten, mit einer Hitliste der Geschwindigkeit, mit der meine Mails nach dem Senden lesebestätigt werden.
Rina: 2 Minuten wird da stehen.
Valentin: 7 Stunden (!?) und auf dem letzten Platz vielleicht
Bruder: drei Monate Dann werden wir ja sehen, wer mich ernst nimmt und wer nicht.
Bitte nach dem Lesen dieses Blogbeitrags umgehend bestätigen, dass
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chamäleon123 - 15. Mai, 09:50
Irgendwo tief in meinem ansonsten ziemlich rational funktionierenden Zwischenhirn ist die Überzeugung verankert, dass alle uns umgebenden Gegenstände ein Eigenleben führen. Mein Fahrrad: ein treues Faktotum, das geduldig auf seine Einsätze wartet und sich niemals über den Rost an der Kette beklagen würde. Meine Handtaschen: zickig die einen, ständig Kugelschreiber verschlingend, behäbig und praktisch, fast etwas gouvernantenhaft in ihrer pflichtbewussten Art die anderen. Unser Auto: eng befreundet mit meinem Fahrrad, gleichgültig seine Benzin-Rationen schluckend. Unser Kühlschrank dagegen - möglicherweise entfernt verwandt mit Axel Hackes
Bosch - ist gerade in der Pubertät. Heute etwa gelüstete ihn nach einem Milchbad

a la Kleopatra und es war ihm so was von egal, dass ich als Event-Managerin einer Geburtstagsparty gerade jetzt voll ausgelastet bin. Mir doch egal, blinkte er aufsässig als ich die Milch wegputzte und ich drohte ihm mit dem Finger. Man muss hier gewisse Grenzen setzen, sonst machen plötzlich alle, was sie wollen.
chamäleon123 - 9. Mai, 10:59
"Es riecht reisig", sagte der Bär, als er mittags heimkam. Er hatte recht.
chamäleon123 - 8. Mai, 22:05
was ich mag: Kindheitsgeräusche, -töne und -erinnerungen, untrennbar miteinander vebunden. Etwa: Sommer - der Duft von frisch gemähtem Gras, von drinnen das an- und abschwellende Geräusch von Autorennen am Fernsehen, draussen auf der Bank der Grossvater im feingerippten Unterhemd, eine braune Bierflasche in der Hand haltend.
was ich nicht mag: Elternsprechstunden
chamäleon123 - 7. Mai, 19:17
Des Bären Lehrkräfte sind erbost über seine brummige Schulaversion. Spuren soll er, der Bub und besser aufpassen. Ehrgeizig sein und emsig seine Laufbahn planen. Lauter reden und zackiger aufstrecken. Überhaupt: man wünschte sich ein gefälligeres Kind, etwas stromlinienförmiger und angepasster. Nein sagen lernen soll er zu gegebener Zeit, etwa dann, wenn man ihm in fröhlicher Runde eine Nase Koks anbietet. Jetzt soll er in der Pause gefälligst Äpfel essen wie alle anderen auch.
Aber: Auch die Duldsamkeit eines Chamäleons hat seine Grenzen. Die geneigten Lesenden erinnern sich: Alle Chamäleons verteidigen ihr Revier mit Drohgesten: Mit Pendeln des Körpers, Mundaufreissen und vor allem mit Aufblähen ihres Körpers. Das nennt sich: Elternsprechstunde. Auch wenn ich das mit dem Aufblähen vielleicht nicht so wörtlich nehmen sollte...
chamäleon123 - 3. Mai, 22:36